Des Kaisers neue Kleider
…oder: Der DFB baut sich ein Sommermärchen
Ein frustrierter und trauriger Fan von Dynamo Dresden schreibt uns seine Gedanken zum Thema Ausschreitungen, Ungerechtigkeit und Pokalausschluss. Seine Webseite mit mehr Informationen findet ihr hier: www.dynamofanz-grug.de
Als mich die katastrophalen Neuigkeiten vom drohenden Pokalausschluß Dresdens erreichten, eröffnete ich spontan einen Hilferuf in einem Fußball-Forum, überzeugt davon, dass diese Forderung des DFB auch überregional auf großes Unverständnis stoßen würde. Tage voller Bauchschmerzen, Frust und einer selten erlebten Wut später weiß ich es besser …
Kaum dreißig Sekunden nach der Eröffnung des Threads fragte mich ein Freund, was ich denn denke, wie lange man sich das noch mit ansehen solle. Was mit ansehen?, fragte ich mich spontan. Das selbstgefällige Am-Stuhl-festhalten der DFB-Oberen, die nur dann zu ungeahnten Höchstleistungen auflaufen, wenn es um ihren Job geht? Von denen man nur etwas hört, wenn interne Ränkeschmiede es bis in die Zeitung schaffen oder mal wieder ein paar Strafen ausgesprochen werden müssen?
Oder meinte er die Presse, die es in einem demokratischen Staat irgendwie geschafft hat, sich selbst gleichzuschalten? Medien, die sich vor allem in ihren Internetpräsenzen höchstens noch im Layout voneinander abgrenzen, und deren einziger Wettbewerb darin zu bestehen scheint, „das aktuelle Thema“ noch sensationsgeiler auszuschlachten als die anderen? Wobei völlig egal ist, ob es gerade um Vogelgrippe geht oder um Fußball – die andauernde Effekthascherei kennt keine Gnade, und die Hysterie des ZDF ist von der eines RTL nicht mehr zu unterscheiden …
Ich vermute aber mal, dass mein Freund was anderes im Sinn hatte, als er seine Frage stellte. Ich denke, er spielte auf die 90 Festnahmen beim letzten Ligaspiel an. Halt, Moment mal. 90 Festnahmen? Das war gar nicht bei Dynamo, das war bei München gegen Nürnberg. Irgendwas mitbekommen? Nein? Kein Wunder, in den Zeitungen stand nichts, und im Fernsehen war auch nichts zu hören. Und warum nicht? Weils keine Sau interessiert!
Stellvertretend für die auf diesen Hinweis fällige Reaktion zitier ich mal einen User, der ziemlich genervt davon ist, „dass die Dynamos jetzt so tun, als würde es nur um die Pyros in Dortmund gehen.“ Dies wiederum steht exemplarisch für das im Moment in jeder Diskussion zum Thema mantraartig wiederholte „Dynamo fällt ja dauernd auf“. Ok, machen wir den Test. Aus dem Stehgreif bitte, das letzte Dynamo-Ereignis aus dieser Saison …
Ich weiß eins: Dresden gegen 1860. Dieses Spiel war der SZ-online gleich zwei böse Artikel wert, und das vor dem Spiel! Unverantwortlich sei es von der Münchner Polizei, dieses Spiel ausgerechnet an diesem Wochenende überhaupt zuzulassen. Schließlich sei absolut klar, was passieren muss: Die Dynamos machen unser Oktoberfest kaputt …
Der Rest ist Geschichte: 18000 Fans bei einem Zweitliga-Auswärtsspiel, und sonst (leider) nichts. Dasselbe gilt für die anderen prognostizierten Problemspiele gegen unsere speziellen Freunde aus Berlin und Frankfurt. Das einzige was man dazu aus jedem Spielbericht herauslesen kann, ist die Bombenstimmung im Stadion, natürlich auch wegen der zahlreich angereisten Auswärtsfans. Respekt an dieser Stelle!
Und weil es hier hervorragend passt, ein anderes Argument, dass ich inzwischen oft gehört bzw. gelesen habe: Wir wollen nur schönreden …
Nun, was mich betrifft, ich will nichts schönreden, ich will nur ernsthaft reden, bzw., angesichts der aktuellen Situation eigentlich richtiger: überhaupt reden. Und dazu gehört auch das: Rassismus kotzt mich an! Gewalt kotzt mich an! Und Typen, die mit Pyros werfen und Spieler angreifen, egal mit was, kotzen mich so sehr an, das kann sich kein noch so schlimmer Dynamo-Gegner auch nur vorstellen!
Stadionverbot? Lebenslang und bundesweit? Gerne! Sofort! Wenn jetzt noch einer ´ne Idee hat, wie man das technisch umsetzen kann? Wartet mal, wäre das nicht eine schöne Aufgabe für den DFB? Mmh, nein, ich glaube nicht. Könnte ja passieren, dass die Herren ihr zweites Frühstück verpassen …
Fakt ist: Beim Spiel in Dortmund ist einiges an Scheiße gelaufen. Aber das was gelaufen ist, steht in keiner Relation zur Mediendarstellung, nicht einmal annähernd, ebenso wenig wie zur geforderten Strafe. Mal ehrlich: wem drängt sich hier nicht der Eindruck auf, dass man da nur auf was gewartet hat?
Dynamo will ebenfalls nichts schönreden, alles worum man sich derzeit verzweifelt bemüht, ist Relativierung. Und dazu gehört es eben auch, zu fragen: Wieso wird bei Pyros in Köln von gutgelauntem Karneval gesprochen, während, Steinbrecher und Poschmann sei Dank, angesichts der Pyros in Dortmund der Untergang des Abendlandes heraufbeschworen wird?
Wieso halten sich 15 Festnahmen zwei Wochen lang in den Nachrichten, während man von 90 Festnahmen bei anderen Spielen noch nicht einmal etwas zu hören bekommt?
Fakt ist: Der Fußball hat ein Problem. Und zwar überall. Es ist völlig egal, ob es um die berüchtigten Stänkerfritzen des FCB geht oder die Krawallos vom FCK, um mal nicht immer nur von St. Pauli zu reden oder auf den selbsternannten Randalemeister abzuschieben. Ich bin mir sicher, dass dem DFB Statistiken vorliegen, aus denen ersichtlich ist, dass, was die Theater-Ag´s betrifft, die SGD allenfalls irgendwo im Mittelfeld angesiedelt ist.
Aber was soll man machen? Etwas gegen Bayern unternehmen? Jaa, vor Lachen …
Gegen Frankfurt? Die Heimat des DFB? Schönes Armutszeugnis.
Auftritt Dynamo. Wir sind nicht wichtig, wir haben kein Geld, und keiner kann uns leiden. Sind wir daran selber schuld? Zum Teil, ja. Und damit sind wir bei einem anderem wichtigen Thema: Der Verantwortlichkeit des Vereins. Eine der häufigsten derzeit wiederholten Parolen lautet: „Dann muss der Verein eben was unternehmen“. Eine herrlich leere Worthülse, die auch andere Vereine lange Gesichter machen lässt. Was denn bitteschön? Und was kann eigentlich der Verein dafür, wenn irgendwelche Idioten nicht klar sehen?
Der Witz an der Sache ist, dass angesichts dieser Thematik eine Bestrafung des Vereins nicht nur „trotzdem“ unfair wäre, sondern „gerade“, denn Dynamo Dresden hat was getan! Und macht weiter! Wie hat Dynamo denn reagiert auf die Vorfälle in Dortmund? Mit der in der Bundesliga-Geschichte einmaligen Aktion, die eigenen Fans vom nächsten Auswärtsspiel, für das noch keine Karten verkauft waren, auszuschließen, unter der Androhung, das fortzusetzen, wenn es bei irgendeinem der nächsten Spiele zu irgendwelchen Problemen kommt!
Interessiert das irgendjemanden? Nein. Wenn sich die Phrasendrescher erst mal warm gelaufen haben, dann gibt es kein Zurück mehr. Interessant ist dabei, wie sich die negative Haltung des DFB zum Fußballosten in der öffentlichen Meinung widerspiegelt. Der Tenor in der aktuellen Diskussion zum Thema, grob zusammengefasst und nur leicht überspitzt: Nicht nur das Dynamostadion plattmachen, sondern den ganzen Osten gleich mit!
Unterstützt durch die einseitige Berichterstattung in den Medien wird hier gerade ein Bild gemalt, dass selbst hinsichtlich der schon immer recht holprigen Ost-West-Beziehung neu und furchteinflößend ist, und in seiner Comic-Haftigkeit an Kaugummibilder aus den Dreißigern erinnert: Der Grieche frisst Schafskäse, trinkt Ouzo und tanzt den ganzen Tag Sirtaki, der Neger hat schwulstige Lippen, einen Goldring im Ohr und eine Zigarre im Mund, und der Ostdeutsche hat wahlweise Glatze oder Seitenscheitel und zündet mit Vorliebe Fußballstadien an …
Leute, das ist Wahnsinn! Theo bläst zur Hexenjagd, und alle machen mit! Und das ärgert mich nicht nur, weil ich Dynamo-Fan bin, sondern weil ich auf Ungerechtigkeit genauso allergisch reagiere wie auf Rassismus. Und das hier ist die grandioseste, zum Himmel schreiendste Ungerechtigkeit, die ich je erlebt habe, und sie findet vor aller Augen statt. Das Volk will Blut sehen – bitte sehr! Das klassische Bauernopfer, so alt wie die Menschheit selbst. Hier geht es nicht um Fußball oder Randale, hier geht’s um Politik. Und hier geht’s auch nicht um Dynamo, nein, hier geht’s um einen alten Herrn, der sich wichtig machen will als Rächer der „Guten“, als Held, der einen ach so bösen Bösewicht zurück in den dunklen Wald gejagt hat. Eine tolle PR-Aktion, während das Königreich weiter an den selben Problemen krankt wie vorher …
Und weil wir gerade bei Märchen sind: Des Kaisers neue Kleider wurden damals letztlich enttarnt, von einem naiven Kind zuerst, aber dann brach der Bann, und es wurde ziemlich viel gelacht. Und heute? Stehen wir wieder da und glotzen auf die Bühne. Aber statt den Kaiser auszulachen und ihm metaphorisch eins auf seine eingebildete Mütze zu geben, klatschen wir und rufen: Hurra! Hurra! Hurra!
Traurig und frustriert
Einer aus Dresden
Eine Diskussion zu dem Artikel findet direkt beim traurigen und frustierten Dresdner Fan statt. Besucht seinen Blog und gebt Eure Meinung zu dem Thema ab: www.dynamofanz-grug.de
Chris
Tja, was soll man dem noch hinzufügen? Man kann ihm nur zustimmen.